Mir ist aufgefallen, dass es in der vorangegangenen Diskussion ein Verständnisproblem gab, dass zu Missverständnissen geführt hat. Ich warf den Antispes vor, dass sie Mensch und Tiere gleichsetzen wollten. Die Antispes verstanden dieses „gleich“ im Sinne von „gleichartig“ behandeln und sein, ich aber meinte „gleich“ im Sinne von „gleichwertig“. Hiermit sei dieser Punkt noch mal klar gestellt. Ich meine also, dass Antispes davon ausgehen, dass Menschen und (zumindest leidensfähige) Tiere gleichwertig sind.
Sofern nicht anders angegeben stammen alle Zitate aus dem Text „Ein Gespenst geht um: Das Gespenst des Antispeziesismus“ (zu finden unter: http://asatue.blogsport.de/2010/07/27/ein-gespenst-geht-um-das-gespenst-des-antispeziesismus/).
Fehlannahme: Die Antispe-Ideologie sei emanzipatorisch, denn …
Herbert Marcuse antwortete in einem Interview auf die Frage, was nach Errichtung der befreiten Gesellschaft zu tun bleibe, sofort: „Die Tiere befreien natürlich!“
Welche Ironie. In ihrer Suche nach einem Gewährsmann mit gutem Leumund in der Linken wird eine Interview-Antwort von Marcuse herangezogen. Doch wenn man die Frage mal genau liest, dann stellt sich heraus, dass sie gar nicht im Sinne der Antispe-Ideologie verwertbar ist, sondern ihr vielmehr diametral entgegensteht. Die Frage lautet nämlich „was NACH Errichtung der befreiten Gesellschaft zu tun bleibe“. Marcuse betrachtet die Tierbefreiung also offensichtlich als zweit- und nachrangig. Das sehe ich nicht anders. Wenn die Befreiung der Menschheit einmal erreicht ist, dann können wir uns gerne um die Befreiung der Tiere kümmern bzw. diese verhandeln.
Wenn man Tierbefreiung (die Aktion) von dem Antispe (die Ideologie) löst, denn auch als „Nur“-Tiefreund/-schützer und Nicht-Antispe kann man Tierbefreiungsaktionen durchführen und unterstützen, dann ist die Befreiung von Tieren ja ganz nett, hilft aber auf dem Weg zu einer befreiten Gesellschaft nicht weiter. Für mich rangiert Tierbefreiung daher irgendwo zwischen sexueller Revolution und Denkmalschutz.
Natürlich schaden Tierbefreiungsaktionen erst mal niemanden. Naja, so ganz stimmt das auch nicht. Die ökologischen Negativ-Folgen mancher Tierbefreiungen sind erheblich. Außerdem habe ich manchmal Befürchtungen, was die Befreiung von Labor-Tieren angeht. Mindestens ein gutes halbes dutzend Zombie-/Pandemiefilme beginnt damit, dass Tierbefreier Labortiere befreien und damit eine Krankheit aus dem Labor in die Außenwelt tragen. Diese Gefahr, dass Menschen etwas Gutes tun wollen, aber unbeabsichtigt etwas Schlechtes auslösen, scheint mir durchaus vorhanden zu sein. Die realen Folgen ihrer Ideologie und auch ihrer Praxis werden nämlich allem Anschein nach von den Antispes kaum bedacht.
Im Umkehrschluss würde der Anspruch emanzipatorisch zu sein übrigens auch bedeuten, dass Fleischesser und Tierhalter sich irgendwie antiemanzipatorisch verhalten. Das wäre dann eine ziemlich selbstgerechte Verurteilung anderer.
… Menschen können frei sein, ohne das Tiere es sind!
Offenbar sind libertäre Gesellschaften auch ganz gut ohne die „Emanzipation nichtmenschlicher Tiere“ möglich. Von der französischen Kommune in Paris über das anarchistische Katalonien bis zu den zapatistischen Gemeinden in Chiapas ist mir nicht bekannt, dass diese libertären Gemeinschaften auf Tierprodukte und Tier“ausbeutung“ verzichten. Im Gegenteil: Mit der Selbstemanzipation der Bevölkerung konnten sich wohl in vielen Fällen die Armen erstmalig auch an den sprichwörtlichen Fleischtöpfen der Reichen laben. Es besteht offenbar kein direkter Zusammenhang zwischen Befreiung der Menschen und der Tierbefreiung. Deswegen wohnt der Antispe-Bewegung kein emanzipatorischer Kern inne. Gescheitert sind die bisherigen Versuche ja nicht an der fortbestehenden Nutzung von Tieren, sondern an äußerer Intervention (Franco-Faschisten, Stalinisten) und inneren Widersprüchen. Auch Herbert Marcuses Antwort weist ja darauf hin, die Tierbefreiung für ihn zweit- bzw. nachrangig ist. In einer befreiten Gesellschaft werde ich gerne diesem Problem Zeit, Kraft und Aufmerksamkeit widmen. Bis dahin, ich werde es wohl nicht mehr erleben, habe ich Wichtigeres zu tun.
Dabei denke ich durchaus, dass die ökologische Frage heute neben den Fragen von Herrschaft und Hierarchien, Psychologie, Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (z.B. Rassismus), Wirtschaft (Kapitalismus) und Patriarchat eine der entscheidenden Hauptfragen ist, die beachtet werden müssen um eine nachhaltige Veränderung anstoßen zu können. Die ökologische Frage ist für mich kein Nebenwiderspruch, der automatisch mit dem Kapitalismus aufgelöst wird. Dieses Problem könnte auch in einem Postkapitalismus in Teilen als Problem für die Menschheit weiterexistieren, wenn man sich dieser Frage nicht gesondert widmet. Die Frage des Umgangs des Menschen mit den Tieren aber ist für mich aber höchstens noch eine Art von Nebenwiderspruch. Tierschutz und besonders Tierbefreiung ist vielleicht kein Luxusproblem, sollte aber absolut nachrangig bei politischen Projekten sein. Dass heißt aber nicht, dass ich persönlich Tierquälerei praktiziere, toleriere oder nicht abschaffenswert finde.
Die Antispes sehen das aber anders, für sie sind Tier-Haltung und Menschen-Unterdrückung untrennbar miteinander verbunden. Ich bin mir nicht sicher, ob die Antispes das immer glauben, oder ob sie (bewußt oder unbewußt) versuchen ihr politisches Projekt aufzuwerten, indem sie es mit der Emanzipation der Menschheit verknüpfen. Um ihre Sache aufzuwerten behaupten sie:
A, Der von der Antipe-Ideologie geforderte absolute Verzicht auf Fleisch und Tierhaltung käme der Menschheit zu Gute, weil es das Hungerproblem lösen würde
Sicher, eine verbreitetere vegetarische Ernährung würde das Hungerproblem der Menschheit tatsächlich verringern. Aber das ist gar nicht notwendig. Es gibt ja hier und jetzt genug Nahrung für alle, inklusive der fleischlichen. Sie wird nur ungleich und ungerecht verteilt. Während die einen Nahrungsmittel wegwerfen, müssen andere hungern. Schuld ist der Kapitalismus mit seinem Zwang zur Profitmaximierung (Mehrwertproduktion).
Die Ernährung der Menschheit wird durch eine Abschaffung des Kapitalismus und einer Lösung der ökologischen Frage gesichert, nicht aber durch den durch radikalen Tierschutz umgesetzten bzw. erzwungenen absoluten Verzicht auf Fleisch und Tierhaltung .
B, Der von der Antipe-Ideologie geforderte absolute Verzicht auf Fleisch und Tierhaltung käme der Menschheit zu Gute, weil die Massentierhaltung Krankheiten produziert
Ok, dann schaffe man die Massentierhaltung ab, was durch den Wegfall des Kapitalismus vermutlich von alleine geschieht. Die Abschaffung der Tierhaltung an sich(„Abschaffung jeglicher Tierhaltung“), ist mit diesem Ziel nicht zu begründen.
Die Antispes wollen aber genau das, denn Tierhaltung ist für sie die „Versklavung nichtmenschlicher Tiere“. Sie fordern für Tiere daher das „Recht auf Autonomie“.
C, Die von der Antipe-Ideologie eingeforderte Gleichwertigkeit von Mensch und Tier käme auch den Menschen zugute, da menschliche Unterdrückungsverhältnisse mit Naturbildern (z.B. Tiervergleichen) legitimiert werde.
Hier würde viel eher die Betonung des Unterschiedes zwischen Tier und Mensch helfen. Menschen dürfen eben nicht zu Tieren gemacht werden. Stattdessen versuchen die Antispes das Pferd von hinten aufzuzäumen und Tiere aufzuwerten, damit sie den Menschen als gleichwertig erscheinen.
Das ergäbe aber nur Sinn, wenn die von Antispes behauptete Gleichwertigkeit von Menschen und Tieren auch zutreffen würde bzw. von allen akzeptiert würde. Aber selbst Antispes machen Unterschiede zwischen Menschen und Heuschrecken, d.h. sie gehen wohl auch von einer Ungleichwertigkeit aus.
Wie bereits in einem vorangegangenen Text geschrieben würde das Problem der De-Humanisierung auch nicht mit einer Aufwertung von Tieren verschwinden, da es noch genügend dehumanisierende Metaphern aus der Medizin (z.B. „Parasiten“) oder der Gärtnerei („Schädlinge“) übrig blieben.
Ist die Antispe-Ideologie reaktionär?
Mir erscheint die Antispe-Ideologie in zweierlei Hinsicht reaktionär:
A, die Banalisierung von und Ignoranz gegenüber menschlichem Leid
Bei den Antispes und radikalen TierschützerInnen gilt generell: Töten für Ernährung und die Ermordung von Menschen wird prinzipiell gleichgesetzt. Kurzum: „Fleischessen ist Mord!“
Auch linke Antispes können daher nicht wirklich begründen, warum Holocaust-Vergleiche nicht in der Konsequenz ihrer Denkmodelle liegen. Für sie ist der Unterschied zwischen Holocaust und Tier“mord“ nur ein intentionaler. Hätten die Nazis nicht aus einem Wahn heraus die Juden ermordet, sondern mit dem Hauptmotiv um aus ihnen Seife zu machen, dann wäre nach dieser Logik der Massenmord an den europäischen Juden und eine massenhafte Tiertötung gleichwertig, so wie Tiere und Menschen in den Augen der Antispes gleichwertig sind. Oder anders herum betrachtet: Die Jagd auf Tiere dient in einigen Fällen nicht der Ernährung und Bekleidung, sondern dem puren Vergnügen. Solche Arten von Jagd dürften also nach Antispe-Logik der Menschen-Jagd der NS-Einsatzgruppen gleichwertig sein.
Genau deswegen werden auch von linken Antispes bis auf Holocaustvergleiche, ansonsten alle (sprachlichen) Analogien zwischen Menschen-Leid/-Mord und Tier-Quälerei/-Tötung geteilt. Allein schon was die Analogisierung und Parallelisierung von Menschen- und Tier-Leid bei Menschen auslöst, die nicht die verdrehte Antispe-Logik von der Gleichwertigkeit von Mensch und Tier teilen (geschätzte 99,999%), ist verletzend und menschenverachtend in der Wirkung, auch wenn es nicht beabsichtigt ist. Vergewaltigungsopfer, die auf Antispe-Aufklebern, mit zwangsbefruchteten Vieh analogisiert werden, dürften sich in der Regel verspottet und verletzt fühlen. Hier sehe ich eine gewisse Kälte Menschen gegenüber.
Auch bei linken Antispes finden sich manchmal Holocaustbanalisierungen bzw. (das ist ja dann die Konsequenz davon) Nazi-Vorwürfe gegen Fleischesser. Hier versteckt man sich aber lieber hinter Gewährsleuten. Zum Beispiel findet sich auf der Seite der „Tierrechts-Aktion Nord“ eine Rezension zu einem Buch mit dem Titel „Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka“ oder man zitiert einen Auschwitzüberlebenden mit der Aussage „Wo es um Tiere geht, wird jeder zum Nazi“. Wenn man das Zitat unkommentiert auf die Homepage stellt, stellt man sich hinter dessen Aussage. Auch wenn sie von einem Holocaustüberlebenden stammt, so wird sie dadurch nicht richtiger.
Die Empathie für Tiere gebiert tatsächlich nicht unbedingt Menschenhass, aber zumindest eine gewisse Ignoranz gegenüber menschlichen Leid und Ausbeutung. Zum Beispiel die Antispe-Aktionen gegen Zirkusse setzen sich nie damit auseinander wie die Arbeitsverhältnisse in den kleinen Familienunternehmen aussehen. Auch die Forderung nach fleischloser Ernährung und einem generelle Ende der Tierhaltung („Wir fordern Freiheit und Lebensrecht für alle Tiere“), ignoriert dass Fleisch und Tierhaltung auch bei ärmeren Menschen und in ärmeren Gegenden (lebens-)wichtig sind. Es geht ja eben nicht allein um den „Kampf gegen mächtige ökonomische Interessen“, eine generelle Ablehnung trifft meine Oma mit ihrer Hühnerzucht ebenso wie Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auf dieser Welt. Die Frage „Wie geht es Tier?“ scheint Priorität zu haben.
B, die Menschenfeindlichkeit (der Singer-Flügel)
Peter Singers barbarischen Schlussfolgerungen und Forderungen sind weder lediglich eine Folge einer Verwirrung, noch eine zwingende Konsequenz der Antispe-Ideologie. Sie sind Ausdruck einer Art Antispe-Realpolitik. Singer hat erkannt, dass sich in absehbarer Zeit die Antispe-Agenda nicht umsetzen lassen lässt (ich hoffe nie). Also macht er quasi realpolitische Angebote. Da für ihn alle Lebewesen gleichwertig sind, plädiert er dafür lieber einen Wal zu töten, statt viele Hühner, da ein einziger Wal soviel Fleisch bietet wie tausende Hühner. Dieselbe Logik (Präferenzutilitarismus) steckt hinter Singers Vorschlag für menschliche Medizin sollten behinderte Menschen statt Affen verwendet werden. Hier kommt noch der Gedanke dazu, dass eine Art nicht andere Arten „ausbeuten“ darf. Die herrschaftskritische Antispes, ich würde sie lieber utopistische Antispes nennen, sichern sich ab, indem sie Singers Logik der Gleichwertigkeit zwar teilen, aber darauf bestehen, dass sie nicht die Ausbeutung daraus ableiten ließ. Ja, dass würde ja dem Antispe-Grundprinzip widersprechen. Was soll ich sagen: Sie haben Recht. Statt Singers Antispe-Realpolitik verfolgen sie eine Antispe-Utopie.
Das dachte ich jedenfalls bis vor kurzem!
Ich hatte den linken, „herrschaftskritischen“, Antispes immer abgenommen, dass sie inhaltlich nichts mit Singer zu tun hätten. Doch sie stehen ihm näher, als sie es vermutlich selbst wahrnehmen (wollen). Ich selbst wurde erst von einem klugen Text eines AK Gibraltar darauf gebracht (AK Gibraltar: »Da steht ein Pferd auf‘m Flur…« – warum Antispeziesismus kein harmloser Schlager ist, Hannover, Juli 2008).
Grundannahme der Antispes ist ja, dass der Mensch sich nicht wirklich vom Tier unterscheide, weshalb sie ja auch von „menschlichen und nichtmenschlichen Tieren“ sprechen (bei Singer: „Personen und Nicht-Personen“). Ich nahm nun an, dass die Angabe, man gehe zwar wie Singer von der Gleichwertigkeit von Menschen und Tieren aus, aber im Gegensatz zu diesem, würde man sich gegen die Verletzung aller leidensfähigen Lebewesen stellen, sei tatsächlich ein wirksamer Schutz gegen ein Wandeln auf Singers Wegen. Doch in Wahrheit halten auch die linken Antispes sich nicht an das Gebot der Nicht-Verletzung aller leidensfähigen Lebewesen! In der vorangegangenen Diskussion betonte auch die Antispe Tübingen, dass es ihrer Ansicht in „Jäger- und Sammler-Gesellschaften“ legitim fänden, wenn „menschliche Tiere“ „nichtmenschliche Tiere“ töten. D.h. Mitglieder indigener Gesellschaften ist es anscheinend „erlaubt“ auf traditionelle Weise Tiere zu töten. Das bedeutet nichts weniger als das eine generelle Abwehr überhaupt nicht besteht, sie wird von den Antispes willkürlich aufgehoben. Damit verfahren die linken Antispes auch nicht weniger willkürlich als Singer. Beide, Singer wie linke Antispes, eignen sich bei allen Lebewesen, also inklusive der Menschen, gewissermaßen die Definitionsmacht über lebenswert und lebensunwert an. In ihrem theoretischen Konstrukt gibt es keine wirksame Abwehr.
Bei den bösen „Speziesisten“ kann ich wenigstens davon ausgehen, dass sie Menschen aus ihrer Definitionsmacht ausnehmen. Aus artegoistischen Motiven bleibe ich deswegen lieber Speziesist.
Zusammengefasst: Der Schutz von Menschen ist beim Antispe-Konzept nicht wirklich automatisch mit enthalten, denn der soll allgemein im Schutz leidensfähiger Lebewesen mit enthalten sein. Dieser wird aber von den Antispes willkürlich außer Kraft gesetzt, ist somit nicht gewährleistet. Eine Mogelpackung also.
Trotz dieser neu entdeckten Gefahr in der Antispe-Ideologie denke ich nicht, dass es eine übergroße Gefahr des Menschenhass gibt. Doch, dass heißt nicht, dass es sie überhaupt nicht gäbe. Interessant wäre es zu wissen wie gut die Abgrenzung zu faschistoiden Erdbefreier-Gruppen wie „Earth First!“ sind, die Menschen als Störfaktor auf der Erde begreifen. Deswegen finden sich in Erdbefreier-Magazinen z.B. zusammengestellte Sammlungen von Naturkatastrophen unter der Überschrift „Die Natur schlägt zurück“.
Auch die in Antispe-Foren offenbar häufiger geäußerten Rachegelüste gegen Tier“mörder“ (Jäger, Fleischer etc.) zeugen nicht unbedingt von Menschenliebe. Da kaum ein Antispe von Anfang an vegan lebt, ist so ein Verhalten evtl. auch der Versuch von Ex-“Mördern“ und Ex-„Leichen“essern sich überzeugend von ihrer (im eigenen Verständnis nach) blutigen Vergangenheit zu distanzieren.

Mit der Arroganz einer Gruppe von Erleuchteten und Auserwählten wird Vegetariern vorgeworfen „Mörder“ zu sein.
Was ist dran an der Offenheit der Antispe-Bewegung nach Rechts?
Was die Offenheit nach Rechts angeht, so glaube ich nicht, dass die Antispes besonderes Potenzial für die politische Rechte bietet. Antispes sind zwar nicht emanzipatorisch, aber eine akademische Bewegung, die beansprucht für die Emanzipation von Tieren zu kämpfen. Für Rechte, die ja vor allem nur für ihr Kollektiv (Nation, Volk, Rasse) kämpfen, ist der Einsatz für alle Lebewesen sicher keine Anzugspunkt. Es sind zwar Neonazi-Tierschützer-Gruppen bereits aufgetaucht, doch diese TierschützerInnen verwendeten entweder Tierschutz instrumentell (gegen das Schächten bei Juden und Muslimen, Rehabilitation des NS-Tierschutzes, Verwendung von Holocaust-Banalisierungen) oder sie isolierten sich in der Szene bzw. gingen an ihren eigenen Ansprüchen kaputt.
Überdies sind die Antispes stark in der linken Subkultur verankert, weswegen es an der Abgrenzung nach Rechts (im Gegensatz zu der Tierrechts-Bewegung) nicht mangelt.
Die von den Antispes, linken wie bürgerlichen, verwendete Banalisierung menschlichen Leids, insbesondere des Holocausts, wird aber immer wieder gerne von Rechten aufgegriffen (nicht: instrumentalisiert!) werden.
Praktizierter Artegoismus, so what?
Menschen sind mir wichtiger als Tiere. Ja, ich stehe zu meinem Artegoismus und „Speziesismus“.
Ich gehe aber davon aus, dass sich auch die Antispes in den meisten Mesch-Tier-Konfliktsituationen artegoistisch verhalten würden. Auch sie haben (mindestens in Konfliktsituationen) eine Wertungshierarchie auf der das Existenzrecht eines Menschen höher angesiedelt ist als das einer Kaulquappe.
Für einen mir vollkommen unbekannten Menschen würde ich den letzten sibirischen Tiger erschießen. Natürlich ist dieser Fall arg konstruiert. Trotzdem bestehen reale, tagtägliche Konflikte zwischen Menschen und Tieren. In der Fahrschule wird einem ja auch beigebracht, dass man bei der Begegnung Wild dieses zuhalten soll, weil das im Gegensatz zum Ausweichen weniger Unfälle verursacht.
Der Mensch ist nun mal einmal nicht irgendein in Naturkreisläufe eingefügtes Lebewesen, sondern er ist daraus (durch Vernunft, Verstand und die dafür notwendige Intelligenz) ausgebrochen. Er kann und will nicht wieder zurück zu einem Leben als einfaches Zahnrad im Naturkreislauf. Dadurch ergeben sich zwangsläufig Konflikte. Diese können und sollten reduziert werden. Schlüsselwörter sind für mich hierbei „unnötig“ und „vermeidbar“. Antispes hingegen lehnen Tiertötungen generell ab und erklären aus dieser Haltung heraus fast alle Mensch-Tier-Konflikte für unnötig (!) und vermeidbar (!). Dass erscheint mir stellenweise sehr konstruiert.
Antispes lehnen aus ihrer grundsätzlichen Haltung heraus z.B. Jagd und Tierversuche gänzlich ab. Statt das auch so zu sagen, wird aber häufig Nicht-Antispes gegenüber, lieber die Sinnlosigkeit von Jagd und Tierversuchen betont. Ja es stimmt, viele Tierversuche und viele Arten der Jagd sind sinnlos, d.h. sie bringen auch dem Menschen keinen Nutzen (z.B. Tierversuche ohne Erkenntnisgewinn), oder überflüssig (z.B. Tierversuche für Kosmetika). Trotzdem bleiben Jagdarten und Tierversuche übrig, die für den Menschen Sinn ergeben und notwendig sind. Deswegen werde und kann ich mich nicht generell gegen Jagd und noch nicht einmal gegen Tierversuche (so grausam ich sie auch finde) aussprechen. Beides wird von Antispes generell abgelehnt. Bevor Menschen hungern, weil sie Tiere ihre Felder verheeren, bin ich für die Jagd. Bevor über Tiere (z.B. Ratten) Krankheiten übertragen werden, bin ich für die Jagd. Anders ausgedrückt: Kammerjäger sind keine Mörder! Bevor wichtige Medikamente unerprobt unter die Menschen gebracht werden, werde ich mich nicht generell gegen Tierversuche aussprechen.

Höchstens noch könnte ich auf Tierversuche zu meinem eigenen Wohl verzichten, für andere würde ich das aber nie fordern.
Unnötige Tierversuche (für Kosmetik u.ä.) oder unnötige Jagd (zur Unterhaltung) hingegen lehne ich ab. Genauso wie vermeidbare Grausamkeiten. Viele Tierversuche laufen ja auch deshalb so grausam ab, weil hier der Gewinn (kapitalistische Mehrwertproduktion) im Vordergrund steht und die Vermeidung von unnötigen Grausamkeiten da keinen Platz hat. Kein Tier sollte unnötig getötet oder gequält werden, ein Abwägen ist es jedes Mal von Fall zu Fall.
Es wird aber immer einen gewissen Grundstock an Mensch-Tier-Konflikten geben. Für mich sind das mehr, als für die Antispes. In diesen Konflikten, werde ich mich immer für das Wohlergehen der Menschen entscheiden. Möglicherweise werden viele dieser Konflikte in einer fernen Zukunft aufgehoben, aber wer hier und jetzt generell hier eine Tötung von Tieren ablehnt, stellt sich automatisch gegen die Menschen. Wenn die Ratten mit dem Pestfloh nicht getötet werden dürfen, dann kommt es zu einer Pandemie. Als in Indien im September 1994 eine Pestepidemie ausbrach war ein Grund für die Ausbreitung der Pest, dass Ratten, die Träger des Pesterregers sind, als heilige Tiere gelten, deren Tötung tabu ist.
Umgeben von Mördern oder warum die meisten Antispes selber nicht an ihre Leitbild halten
Die Antispe-Ideologie geht in der Theorie davon aus, dass Menschen und (zumindest leidensfähige) Tiere gleichwertig sind.
Wenn ich der Meinung wäre, in meinem Umfeld geschähe etwas, was auch nur annähernd mit dem massenhaften Leid oder der Abschlachtung von Menschen vergleichbar wäre, überdies noch sinnlos oder verhinderbar, ich würde Amok laufen. Ganz ehrlich. Antispes und radikale Tierbefreier tun das aber nicht. Einmal abgesehen von dem Tierrechtler Volkert van der Graaf, der den niederländischen Rechtspopulist Pim Fortuyn (1948-2002) ermordete. Motiv war vermutlich, dass Fortuyn am 6. Januar 2002 im Fernsehen sagte „Wählt mich, dann wißt ihr, daß Pelze zu tragen erlaubt ist.“ und ankündigte, das geplante Gesetz gegen Pelztierfarmen nach einem Wahlsieg zu beseitigen.
Warum reagieren die Antispes also nur wie eine radikale Tierschützer-Gruppe? Entweder sind sie ziemlich abgehärtet, oder aber auch sie machen (vermutlich unbewusst) immer noch einen deutlichen Unterschied zwischen Menschenmord und Tiertötung. Wenn Kleinkinder in Dosen angeboten würden, Mitmenschen gehäutet würden oder in meiner unmittelbaren Umgebung die industrielle Massenabschlachtung von hunderttausenden von Menschen ausgeführt würde, würden ich und würden auch sie ganz anders reagieren. Gegen solche Verbrechen würde ich keine Infostände machen, die an die Täter appellieren doch bitte mal aufzuhören. Auch wenn Antispes und andere radikale Tierschützer auf sprachlicher und darstellerischer Ebene ständig behaupten, es wäre genau dasselbe. So mobilisieren sie, aber im Grunde glauben sie das selber nicht in letzter Instanz.
Trotzdem gibt es einige Antispes, die mehr an die Mensch-Tier-Gleichwertigkeit glauben als andere. Gerade in ihren skurrilsten Ausformungen und Handlungen sind die Antispes am konsequentesten. Wenn Antispes …
… darüber diskutieren, ob man ein in der Wildnis aufgefundenes unbefruchtetes Ei essen dürfe.
… wenn Antispes gegen Abtreibung Stellung beziehen (Die Anti-Abtreibungs-Haltung mancher Antispes erscheint mir bei ihrer Gesamthaltung nur konsequent. Leben ist ja Leben und sollte geschützt sein.).
… oder wenn, um mal ein lokales Beispiel zu bemühen, ein Antispe-Aktivist vor Wut über gekochte Würste bei einer VoKü, diese verbuddelt.

Genau dieser Narrensaum hält sich noch am ehesten an die behauptete Gleichwertigkeit von Menschen und Tieren. Die Tendenz bei dem zunehmenden Niederschlag der Inhalte der Antispe-Ideologie als verrückt, durchgeknallt und krude wahrgenommen zu werden, wird einen breiteren Erfolg der Antispe-Ideologie glücklicherweise immer verhindern. Je mehr die Antispe-Ideologie Einfluss auf Lebensgestaltung der Aktivisten gewinnt und in die politische Praxis überschwappt, desto mehr werden sich die Antispes isolieren. So kam es in Antira-Gruppen bereits zu Konflikten mit Flüchtlingen, die bei VoKüs keine Lust hatten, die Nahrungs-Ethik ihrer Freunde zu übernehmen und vegan zu kochen.
Entweder man hält sich tatsächlich an den Inhalt seiner Ideologie und isoliert sich oder man macht doch deutliche Unterschiede zwischen Menschen und Tieren.

Wo wir schon mal beim Thema Narrensaum sind, auch die Antispe Tübingen schreibt von der „Töten von Pflanzen“.
Kleiner Fehler und Anmerkungen: Eine Sammlung
Dies würde eine herrschaftsarme Symbiose bedeuten, etwa dergestalt, wie die ursprüngliche Beziehung zu den Rentieren bei den Lappen in Finnland war: Die Tiere folgten als erstes den umherziehenden Menschen, weil sie aus deren Urin für sie wertvolle Salze entnehmen konnten.
Was in dem Beispiel mit den „Lappen“ nicht erwähnt wird, ist dass die Rentiere zwar vielleicht tatsächlich als erstes umherziehenden Menschen gefolgt sind, aber es wird gar nicht erwähnt, was die Menschen davon hatten. Sie haben nämlich die Rentiere gefangen, als Zugtiere verwendet und die Rentiere getötet und ihr Fleisch und Fell verwertet.
Am Rande sei erwähnt, dass sich die betreffende Bevölkerungsgruppe selbst als Saami bezeichnen, „Lappen“ ist eine Fremdbezeichnung.
In Jäger-und-Sammler-Gesellschaften gibt es keinen Speziesismus, wie wir ihn kennen. Nichtmenschliche Tiere werden meist, auch wenn sie gejagt werden oder lebensgefährlich für die Menschen sind, als gewissermaßen ebenbürtig empfunden: Auch sie versuchen in ihrem Umfeld zu überleben, jagen und werden gejagt.
Jäger- und Sammler-Gesellschaften halten durchaus auch Tiere. Besonders Kinder und Jugendliche ziehen die Nachkömmlinge der getöteten Jagdbeute als Haustiere auf.
Wenn ich mich richtig erinnere, dann berichtete z.B. Rüdiger Nehberg in seinen Vorträgen davon, dass die Yanomami-Indianer aus dem Amazonas-Gebiet Papageien-Küken aufziehen und halten und diesen auch die Flügel stutzen, damit sie nicht wegfliegen können.
Diesen „Stellvertreterkampf“ aber deshalb für illegitim zu erklären, ist absurd, denn mit demselben Argument könnten die Kämpfe gegen die Misshandlung von Kindern oder für Kinderrechte delegitimiert werden.
Der Kampf für Kinderrechte ist nicht generell ein Stellvertreterkampf. Beispielsweise sind auch KinderarbeiterInnen und arbeitende Jugendliche in der Lage sich selbst zu artikulieren und zu organisieren. Auch Kinder können ganz gut verkünden was sie möchten (Selbst wenn dem nicht so wäre, hätten sie immer noch die Fähigkeit zur Entwicklung zum selbstständig denkenden Menschen). Das selbstständige Denken setzt ja nicht erst mit dem 18. Geburtstag ein. Der Glaube, dass Kinder paternalistisch betreut werden müssten, hat bei dem Thema Kinderarbeit dazu geführt, dass Erwachsene im Namen der Kinder Kinderarbeit gerne verbieten und abschaffen würden, Kinder aber zumeist lieber mehr Rechte hätten.
Dass die sogenannten Nutztiere ihre Befreiung nicht selbst vornehmen können, liegt in der Natur der Kräfteverhältnisse: Ähnlich wie die SklavInnen in England und Frankreich durch die moralisch orientierten Kampagnen wohlhabender SklavereigegnerInnen „befreit“ wurden – nach der formellen Abschaffung folgte der Gleichstellungskampf, der eher der Selbstbefreiung nahe kommt –, können sich „Nutztiere“ nicht selbst befreien.
Es gab in der Geschichte immer Aufstände von Versklavten. Versklavte Menschen, die sich verabredeten und dann einen Aufstand machten (Spartakus, Haitis Unabhängigkeit, es gab aber auch unbekannte Sklavenaufstände, z.B.in den US-Südstaaten oder Brasilien) und sich tatsächlich häufig selbst und manchmal – allerdings sehr viel seltener – das Sklavensystem stürzten. Die Versklavten haben selbst sehr viel für ihre Freiheit getan. Ihre Befreiung auf das Ergebnis eines Stellvertreterkampfes zu verengen ist historisch einfach falsch. Selbst bei den Anti-Abolitionisten in den USA, haben Versklavte, Ex-Versklavte und wohlhabender SklavereigegnerInnen miteinander zusammen gearbeitet und sich immer wieder über ihre Ziele abgestimmt. Im US-Bürgerkrieg, in dem es nicht nur aber auch um die Frage der Sklaverei ging, haben viele geflohene Ex-Sklaven auf Seiten der Nordstaaten gekämpft. Ich glaube mich sogar erinnern zu können, gelesen zu haben, dass auch SklavInnen auf Seiten der Südstaaten gekämpft haben, weil man ihnen dafür die Freilassung versprach.
Von einem Aufstand der (Nutz-)Tiere aber ist nichts bekannt. Antispes handeln immer nur für die Tiere und nicht mit ihnen. Vielleicht würden Tiere ja eher die Konzepte von TierschützerInnen bevorzugen: Artgerechte Haltung statt Freiheit? Da aber keine Kommunikation mit Tieren möglich ist, kann das von den Antispes sich selbst erteilte Mandat nie zurückgezogen werden. Sehr praktisch.

Vielleicht wäre es ganz praktisch die Esoteriker zu fragen, die scheinen zu wissen wie man mit Tieren kommuniziert
Nichtmenschliche Tiere werden meist, auch wenn sie gejagt werden oder lebensgefährlich für die Menschen sind, als gewissermaßen ebenbürtig empfunden: Auch sie versuchen in ihrem Umfeld zu überleben, jagen und werden gejagt.
Hier wird Respekt mit Ebenbürtigkeit verwechselt. Bis auf einzelne Fälle von Kannibalismus (das wurde von europäischen Historikern und Forschern meist übertrieben) werden auch in Jäger-und-Sammler-Gesellschaften keine anderen Menschen verspeist, Tiere aber gehören zum täglichen Speiseplan. Deswegen darf man davon ausgehen, dass Tiere (bis vielleicht auf Totemtiere oder sonstwie mit einem religiösen Tabu belegte Tiere) nicht als ebenbürtig angesehen werden, sondern lediglich Respekt erhalten. Weil man von diesen Tieren gewissermaßen abhängig ist und viele Tiere eine Gefahr darstellen (können), respektiert man in Jäger-und-Sammler-Gesellschaften Tiere. Das macht ja auch Sinn.
Zum Schluss
Weil die Antispe Tübingen immer so gerne zitiert, zitiere ich zum Abschluss auch mal und zwar Jonathan Safran Foer, Verfasser des kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen Buches „Tiere essen“, dass sich kritisch mit der Massentierhaltung auseinandersetzt:
Ich würde jedenfalls niemandem zum Vorwurf machen, Würste zu essen, ich finde nur, man muss das nicht dauernd tun.
Dem schließe ich mich voll und ganz an.
PS: Wer dieser Diskussion noch nicht überdrüssig ist, hier gibt’s noch mehr davon:
http://audioarchiv.blogsport.de/2010/08/10/antispeiziesismus/, besonders die Diskussion auf Radio Dreyeckland ist meiner Meinung nach sehr erhellend.